27.10.2020

Chancen Gestalten

Haltet die Welt an

die sie gemeinsam mit Kollegen mietet. Für ihre Objekte setzt sie am liebsten auf das Material
Stein mit Handwerkzeugen in ihrer kleinen Werkstatt

Barbara Giuntoni arbeitet seit mehr als 20 Jahren im Marmorsektor. Mit ihren Ideen zu Gleichberechtigung und Umweltschutz eckt sie an. Doch aufgeben kommt nicht infrage.

Barbara Giuntoni verdient ihre Brötchen mit Marmor: Sie verkauft ihren Kunden Bodenplatten, Blöcke und Architekturteile, für Badezimmer, Gärten, Fassaden und Co. Vieles davon ist maschinell hergestellt und wird zum Schluss noch manuell überarbeitet. Doch die eigentliche Leidenschaft der gebürtigen Toskanerin gilt ihren Designprojekten. Unter dem Namen Marba Marmi recycelt die 49-Jährige dafür meist Restmaterial.

Auch nach mehr als 20 Jahren ist sie noch auf der Suche: nach dem rechten Platz in der von Männern dominierten italienischen Designwelt. Und nach Käufern, denen ihr Konzept der nachhaltigen Produktion einleuchtet. Schon als kleines Mädchen liebt Giuntoni die Stille. Davon gibt es in Fossone, einem kleinen Dorf in den Hügeln oberhalb Carraras, reichlich. Giuntoni ist ein Draußen-Kind, geht gern in den Wald, spielt viel am Wasser. Oder schaut ihrem Vater Marino zu, der als Heizungstechniker arbeitet und ein immerzu erfindender Bastler ist. Sein Rat an seine Tochter: Die Natur ist der beste Lehrmeister. Willst du etwas über Formen lernen, dann schau es dir bei ihr ab. Für Marmor als Material und die Industrie dahinter interessiert sich Giuntoni als Kind nicht.

Doch sie erinnert sich an ein prägendes Möbelstück aus Marmor: den Küchentisch in ihrem Elternhaus, aus Bianco Carrara, gezeichnet vom lebhaften Alltag. Er wird nicht geschont, die Mutter knetet dort Nudeln, bügelt und bäckt, Giuntoni und ihre Brüder machen Hausaufgaben, spielen und turnen auf ihm herum. Mit den Jahrzehnten bekommt der Tisch eine, wie Giuntoni es nennt, „Vintage-Politur“. Sie selbst macht sich als junge Berufsstarterin schnell selbstständig, zunächst mit einer kleinen Boutique für Möbel. Der große Erfolg bleibt aus, deshalb wendet Giuntoni sich dem Interieurdesign zu, beginnt, die Innenräume von Villen in der Region umzugestalten, später auch in Frankreich und Belgien.

Doch wirkliche Erfüllung findet sie dabei nicht. „Meine Stadt drängte mich schließlich zu einer Rückwärtsreise. Weg von den fertigen Villen, zurück zu den Rohstoffen.“ Giuntoni, die mit den Marmorbrüchen in direkter Nachbarschaft aufwächst, lernt diese erst als junge Erwachsene richtig kennen – „mit all ihren Qualitäten und Problemen“. Sie ist fasziniert von der Aussicht in den Marmorbergen und der Schönheit des Materials. Sie spricht mit Arbeitern, die seit Jahrzehnten abbauen, mit Handwerkern und Bildhauern. Und sie beobachtet die immense Ausbeute, die unzähligen Blöcke, die schwere Lkw tagtäglich die engen Schotterpisten hinunter transportieren.

„Ich träume seitdem von einem Marmorabbau, der das Timing der Natur respektiert. Den traditionellen Blick toskanischer Künstler auf das Material als etwas, das es zu entdecken gilt, haben wir weitestgehend verloren. Es gibt Tonnen abgebauter Blöcke, die nur darauf warten, dass jemand sie nutzt. Wir müssen nicht immer schneller immer mehr Material gewinnen.“ Denn Marmor sei eigentlich zeitlos – die Trends, die der Markt hervorbringt und wieder begräbt, widerstreben der Designerin. „In der Mode lassen sich Designer zum Beispiel von früheren Formen und Schnitten inspirieren. Warum soll das beim Interieur-Design nicht gehen?“

Lesen Sie mehr in der STEIN 2/2020.

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