schlichte Form des Altars das Zentrum des Andachtsraums. Foto: Adolf Bereuter
Die schlichte Form des Altars das Zentrum des Andachtsraums. Foto: Adolf Bereuter

Radikal einfach und besonders

Der Entwurf der neu erbauten Bischofsgrablege der Sülchenkirche in Rottenburg am Neckar erhielt den dritten Preis im Wettbewerb Geplant+Ausgeführt 2020. Die Grablege zeichnet sich durch ihre sehr reduzierte, moderne und mystisch anmutende Gestaltung aus. Im Mittelpunkt steht ein großer, schlichter Natursteinblock aus Gauinger Travertin, der als Altar fungiert.

Die spätgotische Friedhofskirche Sülchen in Rottenburg am Neckar wurde von 1447 bis 1454 errichtet und ist seit 1869 Grablege der Rottenburger Bischöfe. Im Rahmen einer Sanierung von 2011 bis 2017 entdeckten Experten unter den Fundamenten der spätmittelalterlichen Kirche Reste einer vorromanischen Vorgängerkirche aus dem 9. Jahrhundert mit einem Dreiapsidenchor. Unter der Vorgängerkirche werden weitere Reste einer noch älteren Vorgängerkirche aus dem 6. oder 7. Jahrhundert vermutet.

Die Bestattungstradition am Ort lässt sich sogar noch weiter zurückverfolgen – bis zu den Ursprüngen des Christentums im süddeutschen Raum. Das heißt, seit rund 1500 Jahren dient dieses Areal als christlicher Bestattungs- und Sakralort. Dies war Anlass, mit Abschluss der Ausgrabungen und Sanierung die freigelegten architektonischen Fundamente und die archäologischen Fundstücke zu präsentieren sowie eine neue Bischofsgrablege zu integrieren.

Der Entwurf dafür stammt von der Cukrowicz Nachbaur Architekten ZT GmbH in Bregenz/Österreich. Über eine Treppe im Boden der Kirche gelangt man auf dem ersten Absatz zu den freigelegten Fundamenten. Hier sind auch Vitrinen mit kleinformatigen Einzelobjekten, darunter auch Grabbeigaben, zu besichtigen. Einen Treppenlauf tiefer ist die Bischofsgrablege angeordnet, in die man durch ein hohes Portal gelangt. Diese ist der zentrale Punkt der Anlage und das neue Fundament für das bestehende Kirchenschiff. Die Grablege ist als Andachtsraum mit einer Raumhöhe von 3,94 Meter gestaltet, dessen seitlichen Raumabschluss die Grabstätten der Bischöfe in zwei übereinanderliegenden Ebenen bilden.

Beim Betreten der neuen Grabkammer fällt der Blick sofort auf den Altar. Ein vier Tonnen schwerer Block aus heimischem Gauinger Travertin, ein Kalkstein aus dem Steinbruch in Gauingen, ein Ortsteil der Gemeinde Zwiefalten in der Schwäbischen Alb, wird von einem Spot an der Decke angestrahlt. Diese einzige Deckenleuchte lässt die Tischfläche des massiven Steinblocks fast weiß erstrahlen. Von ihm scheint alles Licht auszugehen. Einziges weiteres Element ist ein frei stehendes im Boden eingelassenes schlankes Kreuz aus patiniertem Messing.

Die insgesamt 28 Grabkammern sind in zwei übereinanderliegenden Reihen entlang der Längswände angeordnet und mit quadratischen schlichten Tafeln in der Größe 86 x 86 x 6 Zentimeter aus Schiefer geschlossen. Auf die geschliffenen Platten sind die Namen, Titel sowie Daten von Geburt, Bischofsweihe und Tod der Bischöfe der Diözese Rottenburg-Stuttgart eingraviert. Es handelt sich um Holzmadener Posidonienschiefer aus einem Schieferbruch bei Holzmaden, einer kleinen Gemeinde im Vorland der Schwäbischen Alb im Landkreis Esslingen in Baden-Württemberg. Der Schiefer hält sich dabei als dunkler, leicht strukturierter Stein dezent im Hintergrund.

Die Lenz Steinmetz GmbH aus Alberschwende in Österreich bearbeitete die Platten, gravierte die Beschriftung maschinell in die Grabplatten ein, um sie abschließend zu vergolden. Auf der Rückseite der Platten befindet sich mit Hinblick auf ihre die Lebensdauer eine Anleitung zur Bearbeitung, Befestigung und zum Verschluss der Grabplatten. Eine weitere Besonderheit ist die Herausbildung der Raumschalen: Wände, Decke und Boden sind in Stampflehmbauweise unter anderem auch aus derselben, bis zu 1.500 Jahre alter Erde errichtet, die bei den Grabungen in der Sülchenkirche entnommen wurde. Das geborgene Material wurde so wieder zurückgegeben und bildet erneut die Umgebung der Grabstätten.

Durch diese Bauweise entstand ein monolithischer Körper, welcher in seinem schichtweisen Entstehungsprozess dem strukturellen Aufbau von Sedimentgesteinen entspricht. Mit einfachen Mitteln und radikaler Reduktion schufen die Architekten einen Raum mit einer besonderen Atmosphäre. Der zuständige Architekt Michael Mayer von Cukrowicz Nachbaur Architekten ZT GmbH fasst den schlichten Entwurf des Altars erklärend zusammen: „In der Umgebung aus gestampfter Friedhofserde ist die geometrische Form des Altars das symbolische Zentrum des Andachtsraums. Die geometrische Ruhe und Klarheit bilden den Schlusspunkt des Abstiegs in die Grablege. Dabei steht der Altar als Symbol für Jesus Christus. Die Helligkeit des Steins lässt diesen als Reflektor wirken, der die umliegenden Gräber in sanftes Licht taucht. Wir haben uns für den Naturstein Gauinger Travertin entschieden, weil er als lokaler Stein mit dem geschichtsträchtigen Ort sozusagen verbunden ist. Außerdem fügt er sich mit seiner ruhigen Textur als zentraler Bestandteil in die zeitlose Umgebung ein.“

Tonnenschwere Herausforderung

Den Transport des Gauinger Travertinblocks in die Grablege verantwortete der Steinmetz und Bildhauer Harald Straub aus Rottenburg am Neckar. Straub ist schon seit vielen Jahren immer wieder in der Kirche mit restauratorischen Steinmetzarbeiten beschäftigt und den Verantwortlichen als zuverlässiger und kompetenter Handwerker bekannt. In die Lehmdecke der Grablege ist eine rechteckige Öffnung mit den unterseitigen Maßen 231 x 122 Zentimeter integriert, die sich mit einem Spezialkran hochheben lässt. Diese Öffnung dient eigentlich dazu, verstorbene Bischöfe von oben in die Krypta herunterzulassen. Harald Straub nutzte sie zusätzlich auch, um den Travertinblock in die Grablege hinabzulassen.

Der Steinmetz erinnert sich: „Diese Aufgabe war sehr anspruchsvoll, denn der Naturstein mit vier Tonnen Gewicht und mit seinen Maßen von 122 x 120 x 106 Zentimetern ist sehr schwer und recht ausladend. Ich habe vorher den Bereich, wo der Altar seinen Platz bekommen sollte, genau ausgelotet. Außerdem wurde die Decke der Krypta mit vielen drehbaren Metallsprießen abgestützt, denn sie musste den vier Tonnen schweren Altar und einen vier Tonnen schweren Kran tragen. Letztendlich stand mir eine kompetente Firma, die diesen Schwerlastkran besaß, zur Seite. Der Altar wurde an den Kran gehängt und langsam mit links und rechts etwa einem Zentimeter Luft heruntergelassen auf vier schwerlasthydraulische Rollen platziert, mithilfe derer der Altar dann an die richtige Stelle geschoben wurde.“

Der Travertinblock wurde vorab im Steinbruch bearbeitet: Die Aufsicht ist feingeschliffen und die vier Ansichten sind fein sandgestrahlt. Harald Straubs Aufgabe war es neben der Kontrolle des Steins und dem Transport, fünf Kreuze in die Ablagefläche zu schlagen. Die fünf Kreuze symbolisieren die Wundmale von Jesus Christus am Kreuz. Sie wurden in die Oberseite des Steins gehauen: vier an den Mittelpunkten der Seitenkanten sowie eines im Zentrum. „Mehr ist das nicht, das ist ein ganz nüchterner Block“, fasst Straub zusammen, „es ist aber trotzdem eine besondere Arbeit.“

Preisgekrönter Entwurf

Auch bei der Verleihung des Deutschen Architekturpreises (DAP) und ebenso im Rahmen des Staatspreises Baukultur Baden-Württemberg erhielt die Cukrowicz Nachbaur Architekten ZT GmbH 2019 und 2020 Anerkennungspreise für die Bischofsgrablege Sülchenkirche. Laut Generalvikar Stroppel vermittelt die Bischofsgrablege durch die vollkommene Reduzierung auf Raum, Erde und Licht einen starken Eindruck der christlichen Feier des Begräbnisses im Glauben an die Auferstehung.

Die Jury des Staatspreises Baukultur Baden-Württemberg 2020 fasst in ihrer Bewertung zusammen: „Radikale Abstraktion hat hier zu einem Raum geführt, in dem das Mysterium von Vergänglichkeit und Auferstehung spürbar wird, ohne dass dafür aufdringliche Symbolik zum Einsatz kommt.“ Für Harald Straub kam die Auszeichnung sehr überraschend: „Der dritte Preis beim Wettbewerb GEPLANT+AUSGEFÜHRT 2020 hat mich richtig gefreut, und die Urkunde hängt nun in meiner Werkstatt“, erklärt der Steinmetz stolz und fügt hinzu: „Außerdem war und ist die Arbeit in dieser Kirche für mich immer wieder etwas Besonderes, denn bereits mein Urgroßvater war hier in der Sülchenkirche als Steinmetz tätig.“

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