Grabsteine orientierten sich lange Zeit an traditioneller, meist kirchlicher Symbolik und sahen relativ uniform aus. Heute wollen Hinterbliebene oft ein einzigartiges Grabzeichen, das einen unmittelbaren Bezug zur Persönlichkeit der Toten herstellt. Das Steinmetzhandwerk muss sich vermehrt auf außergewöhnliche Kundenwünsche einstellen. Kreativität und Originalität sind gefragt.
Den Friedhof nennt man gemeinhin die »letzte Ruhestätte«. Diese Wortwahl erweckt den Eindruck, als befänden sich nach der Beisetzung die körperlichen Überreste in Grabstätten in einer Art Schlaf. Folglich gehört das Totsein wie dieser in einen privaten, intimen Zusammenhang – und tatsächlich: Von den toten »schlafenden« Körpern sieht man bei einem Friedhofsspaziergang nichts.
Dass sich daran niemand stört, spricht für den Erfolg einer Bestattungskultur, die um der gesellschaftlichen Ordnung willen tote Körper unsichtbar macht. Und doch stößt man hin und wieder auf Menschendarstellungen. Sie begegnen einem nicht nur in der klassischen dreidimensionalen Statuenform, sondern auch als Gravuren in der Grabplatte, als Fotografien – vor allem, aber nicht nur – im Oval, auf Zeichnungen, die Angehörige abgelegt haben, und neuerdings sogar als Hologramm in Kristallsteinen.
Auf den ersten Blick trifft man dank dieser Abbildungen auf die Statue der Person, die an dieser Stelle beerdigt ist. Genau genommen ist es aber lediglich ihr Körper, der sich bildlich einfangen und reproduzieren lässt. Soziologen sagen, dass Menschen einen Körper haben und zugleich dieser Körper sind, weil ihr Körper für sie steht. An den Grabstätten wird dieser Gedanke greifbar. Die Idee der »Verkörperung« ist im Umfeld des Friedhofs keine moderne Erfolgsgeschichte, sondern blickt auf eine lange Tradition zurück.
Ein eher zeitgenössischer Trend, der sich seit einigen Jahren verstärkt beobachten lässt, ist aber die klare Unterscheidung zwischen ästhetischen Stilisierungen von Körpern und alltagsrealistischen Nachzeichnungen. Mit anderen Worten: Die Körperbegegnungen, die Friedhofsbesucher heutzutage machen können, sind längst nicht mehr nur »schön« und längst nicht mehr nur »Erinnerungsmaterial«, das die verstorbene Person symbolisch lebendig macht. Sie sind auch, und zunehmend stärker, Ausdrucksmittel, um individuelle Eigenschaften, Einstellungen und Lebensphilosophien aufzuzeigen.
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