Nicht die Friedhöfe bilden das Erbe, sondern die Trauerkultur
Die Unesco-Kommission würdigt damit deutsche Friedhöfe als “historisches Archiv” für das Trauern und Gedenken im Wandel der Zeit.
Die Kultusministerkonferenz hat auf Empfehlung der Deutschen Unesco-Kommission die Friedhofskultur in Deutschland zum immateriellen Kulturerbe ernannt. Hinter dem Antrag steht die Initiative Kulturerbe Friedhof, bestehend aus den großen Verbänden des Friedhofswesens. Sie hat sich fünf Jahre lang für den Unesco-Titel eingesetzt. Der Antrag ist dabei mehrmals überarbeitet worden: Anfangs stand die identitätsstiftende Kraft der Friedhofskultur im Fokus, nun liegt der Schwerpunkt auf lebendigen Ausdrucksformen. Zudem wurden alle Trägergemeinschaften eingebunden.
Die Initiative schreibt zur Aufnahme: “Damit würdigt die Bundesrepublik den identitätsstiftenden, lebendigen und vielschichtigen Wert der Friedhofskultur für unsere Gesellschaft. Und das nicht nur in kultureller Hinsicht, sondern auch unter sozialen und historischen Aspekten oder in Bezug auf Klimaschutz, Integration und Völkerverständigung.” Denn ausgezeichnet wurden nicht die Friedhöfe an sich. Sondern vor allem das dortige Geschehen: Trauern, Erinnern und Gedenken, Gestalten, Pflegen und Bewahren. Die Friedhofskultur in Deutschland sei einzigartig, sagt Kulturwissenschaftler Norbert Fischer: “Die Art und Weise, wie wir unsere Gräber als kleine Gärten der Erinnerung individuell und oft auch selbst gestalten, ist genauso besonders wie das Einbetten der Gräber in Parklandschaften.”
Der Friedhof als “historisches Archiv”
Nirgendwo sonst verbinde man gärtnerische und steinerne Elemente zu so individuellen Grabanlagen. Die Friedhöfe bildeten außerdem Bestattungs- und Trauertraditionen in verschiedenen Epochen ab: “Friedhöfe und ihre Grabmäler sind eine Schatzkammer von Kultur und Gesellschaft. Sie bilden ein historisches Archiv der besonderen Art, das schützenswert ist.”
Und nun?
Der Titel soll helfen, die Lebendigkeit und Zukunftsfähigkeit der deutschen Friedhöfe zu erhalten und weiterzuentwickeln. Dazu will die Initiative zunächst die Bekanntheit des Unesco-Erbes mit bundesweiten Aktivitäten steigern. Insgesamt soll der Titel dazu beitragen, die Bedeutung der Friedhofskultur “in der Breite der Bevölkerung zu verankern”. Denn dort fehlt sie: In nahezu allen deutschen Kommunen trifft der demografische Wandel auf verändertes Traditionsbewusstsein. Neue Bestattungsformen und private Anbieter, etwa von Friedwäldern, drängen in den Markt. Viele Friedhöfe haben immer mehr unbelegte Flächen.
Engagierte stemmen sich gegen den Bedeutungsverlust – STEIN berichtete beispielsweise über das 2019 großangelegte Projekt “Kulturraum Kölner Friedhöfe 2025”. Die Bürger bestimmten in einem öffentlichen Beteiligungsprozess selbst mit, wie ihre Friedhöfe aussehen sollen und was sie sich dort wünschen. Diese Engagierten dürften den Unesco-Titel als Motivation verstehen.