Politische Relevanz der Documenta
Als wichtigste Weltausstellung zeitgenössischer Kunst provoziert die Documenta alle fünf Jahre neue Ideen, Konzepte und Gedanken zum aktuellen globalen Geschehen. Einer der Hingucker ist in diesem Jahr ein vermeintlich bescheidenes Zelt aus Marmor gegenüber der erhabenen Akropolis in Athen.
Stünde man weit von dem Zelt entfernt, fiele es schwer zu glauben, es bestehe aus Marmor. Unter der heißen griechischen Sonne wirft es glänzende Falten wie aus Stoff. Im Hintergrund thront die Akropolis, Athens monumentale Stadtfestung. Die kanadische Künstlerin Rebecca Belmont wählte als „Ausstellungsort“ ihres Zelts den Philopappos-Hügel gegenüber, mit freiem Blick und perspektivisch leichter Untersicht auf die Jahrhunderte alten Gebäude der Akropolis.
Belmore ist eine von 160 Künstler der Documenta 14. Die international wichtigste Ausstellung zeitgenössischer Kunst findet in diesem Jahr nicht wie üblich ausschließlich in Kassel statt. Adam Szymczyk, künstlerischer Leiter, entschloss sich während der fünfjährigen Vorbereitungsphase zu einem Novum, zu einer „Doppel-Documenta“. Bereits Anfang April erstreckten sich daher Installationen, Performances und Aktionskunst über Parks, Plätze und Museen der griechischen Hauptstadt, ehe die Ausstellung zwei Monate später in Kassel startete. Die Werke unterscheiden sich, doch die Künstler sind nahezu dieselben. Auch die Konzepte der Werke lassen sich unter dem gleichen Motto zusammenfassen. Sie sind eine Reaktion auf die aktuelle konfliktreiche politische Lage in der Welt, eine Auseinandersetzung – wie bei jeder Documenta – mit brisanten Themen der Gesellschaft. Welcher Ort hätte in diesem Sinne ein besseres Pendant zur Ausstellung in Kassel sein können als das von Krisen gebeutelte Griechenland? Athen als bürokratisches Zentrum der Finanz-, Wirtschafts- und Flüchtlingskrise wird nun zum kreativen Zentrum seines eigenen Aufschreis. „Lernen von Athen“ ist der Leitgedanke der Documenta 14. Die Rolle des antiken Griechenlands als Fundament der Demokratie und Geburtsstätte künstlerischer Expression (Theater und Drama, Rhetorik, bildende Kunst) soll nicht in Vergessenheit geraten.
Das Zelt aus Marmor als Symbol für Zuflucht
Künstlerin Belmore gliedert sich mit ihrem Marmorzelt in jene die Documenta 14 beherrschenden Themen wie Flucht und Migration ein. Mit feinem Geschick und präzisem Handwerk formte sie aus dem Marmorblock ein Symbol für Zuflucht und Obdach. Neben der großen Anzahl von Performances und Aktionskunst ist das Zelt dabei eines der wenigen Objekte, die einer Skulptur gleichen und sich den klassischen bildenden Künsten zuordnen lassen. Mit dem Konzept, ein Zelt auf dem Philopappos-Hügel gegenüber der erhabenen Akropolis und ihren imposanten Gebäuden wie dem Parthenon zu konzipieren, provoziert die Künstlerin einen Kontrast extremer Offensichtlichkeit: Die Aristokraten bzw. die politisch Mächtigen, denen die Hoheit über das Schicksal der Zufluchtsuchenden zusteht. Gleichzeitig fordert Belmont allein durch die Wahl des Materials – edler Marmor – Ebenbürtigkeit.
Noch bis 16. Juli 2017 läuft die Documenta 14 in Athen. Das Marmor-Zelt wird länger zu sehen sein und schließlich nach Kassel umziehen, wo es sich wie alle anderen Werke bis 17. September 2017 den Besuchern präsentiert.