Pandemiebedingt ist es die Zeit der Homeoffices, sozialen Distanzierung und wirtschaftlicher Zukunftssorgen. Weil es aber auch – vielleicht sogar besonders in diesen Tagen – geistiger Erbauung Bedarf, bietet Ihnen die STEIN-Redaktion nun in loser Folge einige interessante Filmtipps, die einen Bezug zu unseren Themen aus der Welt der Gesteine und mineralischen Werkstoffe haben. Den Anfang macht unsere Autorin Carolin Werthmann mit einer Rezension zur Dokumentation „Bildhauerinnen – Schöpferinnen von Kunst und Stein“, welche der Kultursender Arte vor Kurzem ausstrahlte. In der Mediathek dort zwar nicht mehr vorhanden, finden Sie den Film aber weiterhin auf Youtube unter: https://youtu.be/VI86Er53Jhc
Entgegen der historischen Ignoranz
Schwere Steine müssen von starken Händen geformt werden. Glaubte man(n) lange. Bildhauerei, die bis ins 15. Jahrhundert vor allem als Handwerk denn als Kunst galt, konnte doch keine Arbeit für fragile Frauenhände sein. So die damalige gesellschaftliche Konvention, die erst nach Jahrhunderten ganz langsam begann, sich aufzulockern.
Dass Frauen genau wie Männer einen Beruf wie den des Bildhauers und der Bildhauerinnen ergreifen können, ist heute eine Selbstverständlichkeit, doch war es das lange Zeit nicht. Bis 1919 durften Frauen nicht an Kunstakademien studieren. Das Problem war nicht, dass es keine Künstlerinnen gab, sondern dass ihnen die Möglichkeiten, Werke zu verkaufen oder Teil von Ausstellungen zu sein, verwehrt blieben und Wissenschaft und Museen sie weitgehend ignorierten. Sie blieben im Verborgenen, wurden vergessen, nicht entsprechend gewürdigt wie ihre männlichen Kollegen, obwohl sie ebenbürtiges, in vielen Fällen größeres Talent besaßen.
Museen wie das Gerhard-Marcks-Haus in Bremen entgegneten 2019 mit Ausstellungen wie „Bildhauerinnen in Deutschland – Klischees und Hürden“ der Ignoranz der Geschichtsschreibung und arbeiteten Namen und Werke weiblicher Künstlerinnen auf, die jahrelang unbekannt waren. Auch der Kultursender Arte holt die Bildhauerinnen der Vergangenheit in die Gegenwart. In ihrer Dokumentation „Bildhauerinnen – Schöpferinnen von Kunst und Stein“ widmet sich die französische Regisseurin Emilie Valentin einer Zeitreise von der Renaissance bis ins 21. Jahrhundert und kreiert ein kurzweiliges 50-Minuten-Katapult durch die großen Epochen der Kunstgeschichte. Zwar gleicht ihr Film eher einem Referat denn Bewegtbild, so reich ist er an statischem Fotomaterial und Talking Heads, also Interviewpartnern, die vor allem reden statt zu zeigen. Doch die handwerkliche Fleißarbeit und filmische Schlichtheit ist wirkungsvoll genug und wird zur Hommage derjenigen, die ungesehen blieben. Wie eine Collage drapiert Valentin ihren Film, lässt Kunsthistoriker und -historikerinnen und Kuratorinnen zu Wort kommen, schneidet Archivfotos von ihren Protagonistinnen und Aufnahmen ausgestellter Skulpturen gegen und rückt so beeindruckende Bildhauerinnen ins Zentrum des kollektiven Bewusstseins.
Da ist zum Beispiel Properzia de‘ Rossi, die während der italienischen Renaissance die Fassade der Basilika San Petronio in Bologna gestaltete. Ihr marmornes Basrelief „Josef und die Frau des Potiphar“ (1525–26) zeigt eine Szene weiblicher Begierde, die Frau schmachtet nach dem Sklaven ihres Ehemanns – ein Beispiel dafür, wie wichtig und wie bereichernd doch dieser „weibliche Blick“ ist, der gegenwärtig so häufig gefordert wird. Nicht der Mann ist es, der sich eine andere Frau erträumt, sondern die Frau liebäugelt mit der Versuchung.
Die Vergessenen, die Kämpferinnen und die Freien
Properzia de‘ Rossi zählt Valentin in ihrer Dokumentation zum Kapitel der „Vergessenen“. Den „Vergessenen“ folgen die „Kämpferinnen“ und die „Freien“, darunter Künstlerinnen wie Marcello, die sich ein männliches Pseudonym anlegte, um wahrgenommen zu werden, Hélène Bertaux, die wagte, das erste männliche Akt in Stein zu meißeln, und Camille Claudel. Claudel mag die bekannteste aller Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts sein, und das doch wiederum nur, weil sie Muse, Schülerin und Geliebte des großen Auguste Rodins war. Ihr Genie stand immer im Verhältnis zum männlichen Meister und ließ sie nie vollkommen in der Unabhängigkeit aufgehen.
Und so geht es immer weiter, Porträt folgt Porträt, Schicksal reiht sich an Schicksal, bis Valentin schließlich bei Jane Poupelet, Käthe Kollwitz, Germaine Richier und Niki de Saint Phalle ankommt, die alle vorwiegend mit Bronzeskulpturen, weniger mit Stein arbeiteten. Ihre Werke sind nunmehr Stellungnahmen zum Verhältnis von Körperlichkeiten, sei es das Körperverhältnis zwischen Frau und Mann oder das Verhältnis zum eigenen Körper. Ob spindeldürre Gestalten, die an Alberto Giacomettis Oeuvre erinnern, oder überdimensionale „Nana“-Figuren mit großem Hintern und breiten Hüften und üppigem Bauch – die Kunst dieser Frauen ist ein Manifest ihres weiten Weges der Emanzipation. Und Emilie Valentin zieht die Zuneigung des Zuschauers mit ihrer Aufarbeitung auf ihre Seite. Es ist ein Genuss, zu sehen, was lange ungesehen blieb. Hier nochmals der Link zum Film: https://youtu.be/VI86Er53Jhc