Man möchte meinen, der Beruf des Steinmetzes sei krisensicher, denn gestorben wird ja – leider – immer, zumindest so lange, bis die Pille für das ewige Leben erfunden ist. Doch die Branche sieht sich mit einer drohenden Existenzkrise konfrontiert.
Im Zuge der sich wandelnden Bestattungskultur kommen die klassischen Grabsteine zusehends aus der Mode – sie sind Relikte eines anachronistischen religiösen Rituals. Ein Spezialist auf dem Gebiet der Trauerkultur ist Professor Reiner Sörries, Gründer und bis vor kurzem auch Leiter des Museums für Sepulkralkultur in Kassel. „Jedes Jahrhundert entwickelt seine Bestattungs- und Friedhofskultur, die zu seiner Lebenswirklichkeit passt. Im 19. Jahrhundert passten tatsächlich Mausoleen, große Gräber und Erdbegräbnisse zum gesellschaftlichen Bewusstsein: Wer etwas ist im Leben, der will es auch im Tod sein. Heute haben wir eher die Frage, welche Bestattungsform passt denn zu welchem Menschen in individueller Hinsicht und auch im Hinblick auf die Bedürfnisse der Trauernden und Hinterbliebenen – während Themen wie soziale Kontrolle oder Selbstdarstellung überhaupt keine Rolle mehr spielen.“
Eindeutig vorbei sind sie also, die Zeiten der bürgerlich-monumentalen Grabkultur. Es wird ihnen nicht ernsthaft einer nachweinen – doch was kommt stattdessen? Und welche Rückschlüsse lässt der Wandel der Bestattungskultur auf gesellschaftliche Veränderung zu? Ein Umdenken begann spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg, wie auch Prof. Sörries betont: „Wir sollen der Schmied unseres Glückes sein, unsere Karriere planen, unsere Familie planen und so weiter – für alles sind wir selbst verantwortlich. Das erwartet die Gesellschaft oder der Staat von uns, dass wir da eigeninitiativ werden. Gleichzeitig eröffnet uns aber die Obrigkeit in vielen Bereichen mehr Handlungsfreiräume. Und so kümmern wir uns nun auch eigeninitiativ um das Sterben. Heute sind wir regelrecht gezwungen, zu überlegen, wie willst Du mal bestattet werden? Das ist eine häufige Frage, und sie muss gestellt werden, weil es eben so viele Alternativen gibt.“
Werden wir oberflächlicher, ist der Tod weniger bedeutsam, hat die Trauer keinen Platz mehr? „Nein keineswegs – es gibt allerdings einen wesentlichen Punkt, den man unterscheiden muss: Die Trauer zu reflektieren, das macht man natürlich nur, wenn der Tod eines Menschen wirklich einen Verlust bedeutet. Während immer mehr Menschen sterben, um die niemand mehr trauert, weil wir immer älter werden und die Menschen sich auseinanderleben, passiert eine Bestattungsform, die sehr rational ist: Was ist am sinnvollsten, am praktischsten, am notwendigsten, wenn meine 98-jährige Urgroßtante stirbt, für die ich bestattungspflichtig bin? Das mag dann nach Außen oberflächlich erscheinen, ist aber aus meiner Perspektive vernünftig und rational gedacht.“
Erfahren Sie mehr zum Wandel der Bestattungskultur in STEIN im Februar 2016.