Im Zentrum von Thomas Luckers Arbeit steht der Stein. Mit seinem Berliner Studio RAO plant er derzeit den Umzug altägyptischer Großarchitekturen und Monumente ins Pergamonmuseum. Darüber hinaus ist Lucker künstlerisch tätig: Für sein „Steinarchiv“ meißelt er ephemere fotografische Momente in Stein.
Steine in der Dunkelkammer
Wer das Handwerk gelernt hat, ist für die Kunst verloren? Diese populäre Annahme widerlegt Thomas Lucker tagtäglich mit seiner Arbeit. Er ist ausgebildeter Steinmetz und Steinbildhauer, studierter Künstler, Restaurator, Forscher und Ausstellungsplaner. Abseits aller Schubladen verbindet er Kunst und Handwerk, bewegt sich frei zwischen den diversen Herausforderungen und Genres: „Es ist wie mit der sogenannten E- und der U-Musik, ich finde eine Unterscheidung müßig.“
Eine Offenheit, die ihm ein breites Spektrum an Erfahrungen und Kontakten beschert. So ist eines seiner jüngsten Kunstprojekte ein monumentales Kalkstein- Relief, das er für die St.-Marien-Kirche in Berlin-Zehlendorf geschaffen hat. Auf zwölf Tafeln zeigt er Menschen aus zwei Jahrtausenden in einer lockeren Prozession, an deren Ende der Heiland steht.
Lucker bezieht sich damit auf den 2. Brief des Petrus: „Für den Herrn sind tausend Tage wie ein Jahr.“ Diesen Satz hat er dahingehend ausgelegt, dass auch zweitausend unserer Jahre für Gott nur ein Augenblick sein könnten. Überhaupt spielen Fragen von Zeit und ihrer Wahrnehmung in Luckers Werk eine wichtige Rolle: „Der Zeitpunkt des Dargestellten, der Zeitraum der Kunstproduktion, die eigene Zeit der Betrachter. Subjektive und objektive Zeit.“
Seit 2008 fertigt Lucker, der unter anderem bei Makoto Fujiwara in Hannover freie Kunst studiert hat, Köpfe, Figuren und Reliefs für sein „Steinarchiv“. Dazu hat der Künstler eine einzigartige Technik entwickelt: Er belichtet seine Werke aus Thüster Kalkstein fotochemisch in einer Dunkelkammer, wobei er zum Teil autobiografisch arbeitet und Fotos aus eigenen Familienalben verwendet. Mit Knüpfel, Eisen und Raspel arbeitet Lucker die Darstellungen aus dem Stein heraus.
Dabei verleihen die teils groben Arbeitsspuren der Werkzeuge dem Werk eine skulpturale, haptische Aura. Durch eine mit dem Pinsel oder Schwamm aufgetragene lasierende Tönung entstehen Transparenzen, Überarbeitungen und Überlappungen, die Schichten der Erinnerung versinnbildlichen. Indem Thomas Lucker ephemere Momente in Stein meißelt, in ein Medium für die Ewigkeit, wirft er vielfältige Fragen auf.
Zum Beispiel danach, inwieweit wir unser Gedächtnis individuell formen und stetig umformen. Danach, wie gemeinsame Erinnerungen tatsächlich sein können. Oder danach, ob das, was wir uns heute rückblickend als kulturelles Erbe vorstellen, womöglich das Abbild einer imaginierten Vergangenheit ist. Geschichte, im wahrsten Sinn des Wortes.
Medium Kalkstein: Gewachsen auf dem Boden urzeitlicher Meere
Aufgrund seiner Materialität und Historie sei der Kalkstein das geeignete Material, um seine Absicht zu transportieren, erklärt Lucker: „Das schichtenweise Entstehen des auf dem Boden urzeitlicher Meere gewachsenen Steins ist für mich eine Analogie zu der Art und Weise, wie unser Gehirn Erinnerungen abspeichert.“
Seit 1996 lebt und arbeitet er in Berlin, wo er mit Jan Hamann das Studio „Restaurierung am Oberbaum GmbH (RAO)“ gegründet hat, das auf Denkmalpflege, museale und archäologische Restaurierung sowie Restaurierungsplanung spezialisiert ist. Aktuell beschäftigen die Partner ein eingespieltes Team, dem etwa 25 Restauratoren, Bildhauer, Architekten, Ingenieure, Kunsthistoriker und Archäologen angehören.
Zu den Auftraggebern zählen unter anderem die Staatlichen Museen zu Berlin. Derzeit ist RAO mit der Planung zur zukünftigen Aufstellung altägyptischer Großarchitekturen und Monumente im Pergamonmuseum beschäftigt, die zum Teil vom Ägyptischen Museum Charlottenburg auf die Museumsinsel ziehen werden, wo sie Teil des sammlungsübergreifenden Rundgangs Antike Architekturen werden.
Als „mein Baby“ bezeichnet Lucker dieses Projekt. In den vergangenen Jahren wurden einzelne Exponate bereits für den Umzug vorbereitet, so unter anderem die aus Rosengranit gefertigte Sphinx der Pharaonin Hatschepsut: Bei früheren Restaurierungen waren der Statue glatte und farblich monochrome Ergänzungen zugefügt worden. So entstand ein unstimmiger Gesamteindruck, den Lucker und seine Kollegen behutsam „beruhigten“.
Lesen Sie weiter in der STEIN 8/2021.