In der kollektiven italienischen Vorstellung ist die Zufahrtsstraße eines Friedhofs immer von hohen Zypressen gesäumt. So auch in Gubbio. Wir befinden uns in der Umbrien, einer „vergessenen Provinz“ – das behauptet zumindest mein Begleiter, der italienische Architekt Andrea Dragoni, der hier eine Erweiterung für den örtlichen Friedhof entworfen hat. Gubbio ist eine Kleinstadt, die wie viele andere Kleinstädte in Mittelitalien sehr stolz auf ihre ruhmreiche Vergangenheit ist: Im Mittelalter und in der Renaissance erfreute sie sich als selbständige Kommune besonderer Freiheiten und konnte dadurch zu Reichtum gelangen. Auf jene goldene Zeit geht auch das Stadtfest zurück, das einmal im Jahr Bewohner aus der ganzen Region anlockt. Ich reise einen Tag nach dem Fest an. In den verlassenen Straßen der Altstadt hängen noch Fahnen aus den Fenstern herab, ein paar Kinder spielen auf dem Straßenpflaster.
Mein Begleiter führt mich zum Friedhof. Beim Näherkommen werden die Umrisse der neuen Anlage sichtbar: Hinter den hohen Ziegelmauern befinden sich strenge Volumen aus Travertin. Gassen öffnen sich zwischen den einzelnen Volumen und wirken wie herausgemeiselt. Der Blick fokussiert sich auf die Achsen zwischen den Wänden und geht in die Weite, bis er an einer der Backsteinmauern abprallt, die den Friedhof begrenzen. Der Kontrast zwischen den rötlichen Backsteinen des alten Friedhofes und den Travertin-Platten der Erweiterung unterscheiden sich grundlegend voneinander. Der helle Stein wurde sowohl für die Wandverkleidung als auch für den Boden zu Ehren der Bautradition der Region verwendet. Seit den Etruskerzeiten wurde Travertin für die Steinverkleidungen verarbeitet und prägt noch heute in Gubbio die Fassaden des Stadtzentrums.