25.01.2016

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Skulptur des Monats: Sternenhimmel

Januar 2016: “Sternenhimmel”

Der Sternenhimmel übt schon immer ein gewaltige Faszination auf die Menschheit aus. In allen Kulturen ließ man sich von den Sternen inspirieren. Sie dienten religiösen Interpretationen oder der Orientierung, sei es in der Kalenderbestimmung oder in der Navigation. Ein besonderes astronomisches Ereignis am Himmel ist die Sonnenfinsternis. Eine totale Sonnenfinsternis, bei der der Mond die Sonne aus der Perspektive der Erde restlos verdunkelt, tritt im Schnitt nur circa alle 375 Jahre über einem bestimmten Ort auf der Erde ein.

Was heute oft wie ein Event zelebriert wird – ein public viewing mit Schutzbrille sozusagen –, war in Zeiten vor einer astronomischen Erklärbarkeit oft ein mit Angst besetztes Phänomen, ein Zeichen Gottes oder ein schlechtes Omen. Trotz dem oftmaligen Spektakelcharakter der Beobachtung der Himmelserscheinung hinterlässt die Verdunklung der Sonne auch heute noch emotionale Spuren bei vielen Betrachtern. Unsere Skulptur des Monats Januar 2016 zeigt einen Ausschnitt des Prozesses des langsamen Verschwindens der Sonne hinter dem Mond – den Augenblick, in dem man innehält, im Bewusstsein, dass das helle Licht bald der Schwärze weichen wird.

Januar 2016: "Sternenhimmel", eine hängende Skulptur aus Carrara Marmor und Blattgold, von Riccardo Atta. (Foto: Künstler)

Langsam schiebt sich der Mond vor die Sonne. In der Darstellung wird der Mond noch hell von den Strahlen der Sonne beleuchtet, nur ein kleines Stück verliert sich schon in der Dunkelheit. Die Helligkeit des verwendeten Carrara-Marmors steht im Kontrast zur eigentlich assoziierten Dunkelheit des Sternenhimmels und der kommenden Finsternis. Die Arbeit wirkt freundlich und hoffnungsvoll. Nur die Durchbrüche zeugen von etwas nicht Greifbarem, vielleicht auch Unheimlichem. Der Steinmetz- und Bildhauermeister Riccardo Itta aus Überlingen gestaltete die Skulptur aus einer vier Zentimeter starken Platte Carrara-Marmor und 24-karätigem Blattgold. Von beiden Seiten bearbeitete er den Stein ausschließlich mit der Flex. Nur die Steinfläche des vergoldeten Mondes ist gestockt und überschliffen. Stege wurden händisch weggeschlagen.

„Bei meiner Skulptur ging es mir vor allem um den Prozess der Bearbeitung, also darum, mit welchen handwerklichen oder technischen Möglichkeiten ich meine Idee im Kopf konkret im Stein umsetzen kann – um ein Erkunden der Struktur“, erklärt Itta. Er zeichnet keine Skizzen oder gestaltet Modelle, in der Realisation im Stein selbst wird sein Entwurf im Kopf manifest. Manchmal brüten Ideen über Jahre hinweg in seinem Kopf, bis er mit ihnen schwanger geht. Auch den „Sternenhimmel“ trug er Jahre lang mit sich herum, bis es 2012 zur Gestaltung kam.

Der Charakter der Arbeit ist bestimmt durch ihre raue, gebrochene Oberfläche. Die Fläche ist einerseits strukturiert durch die vertikalen Schnitte im Stein, andererseits wird diese Struktur durch Löcher und abgebrochene Enden aufgelöst. Diese bewusst gesetzten „Störungen“ verschaffen dem Betrachter eine Ahnung von der undurchschaubaren Weite des Himmels. „Die Löcher weisen in die Unendlichkeit“, sagt der Bildhauermeister. Er wolle aber keine vorgefertigten Interpretationen liefern, sondern finde es schöner, wenn Betrachter der Skulptur eine eigene Bedeutung zuschreiben. Fragen aufwerfen, nicht Antworten geben soll sie. Die Auslegung ist wie die Arbeit am Stein ein individueller Prozess, der aber auch einen Dialog und Gemeinsamkeit schaffen kann.

Riccardo Itta schloss 2004 die Meisterschule in Freiburg ab und hat sich 2005 selbstständig gemacht. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Restaurierung, er führt aber auch immer wieder Bildhauerarbeiten und Grabzeichen aus. Foto: Riccardo Itta

Das Besondere der Arbeit liegt in ihrer Form. Der steinerne Sternenhimmel ist ein Wandbild. Eine Art zweidimensionale Skulptur, die mit ihrer Struktur, ihren dreidimensionalen Elementen, den Raum als Kategorie erfahrbar macht. Wenn wir in den Himmel blicken, erscheint der Himmel auch eher wie eine Fläche mit Sternenpunkten. Gleichzeitig wissen wir aber um die Tiefe des Alls. Die dritte Dimension wird in modernen physikalischen Theorien sogar um eine vierte oder auch mehrere Dimensionen ergänzt. Die Vorstellung dieser Mehrdimensionalität ist kaum fassbar, die Unendlichkeit lässt sich nicht wirklich greifen.

In der Form des Bildes spiegelt sich sein Inhalt wieder. Ein Inhalt, der von jedem Fragen zum Wesen der Dinge abfordert. Für manche liegt die Antwort in Göttlichem. So beschreibt zum Beispiel Adalbert Stifter die erlebte totale Sonnenfinsternis „als einen Moment, da Gott redete und die Menschen horchten.“ Für andere eröffnet sich in schwarzen Löchern das reine Nichts, das alles verschluckt. Wieder andere sind sich sicher, dass in Zukunft alle Phänomene naturwissenschaftlich erklärbar sein werden. Die Skulptur geht an unsere Substanz – im positiven Sinne. Mit ihrer Strahlkraft durch das Weiß des Steines und das Gold der Sterne und des Mondes zeugt sie aber von einer zuversichtlichen Sicht auf die Zukunft, von einer Lebenswelt, in der die Dinge im Einklang miteinander stehen. Und diese Aura der Gelassenheit gegenüber den – auch unerklärlichen – Dingen tut einfach gut. Nicht ohne Grund wiesen schon antike Philosophen dem Guten, Wahren und Schönen eine Zusammengehörigkeit zu.

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