Lebensgeschichten in Stein
Dokumentarfilmerin Katinka Zeuner hat für den Kinofilm “Der Stein zum Leben” den Steinmetz Michael Spengler bei der Arbeit an drei Grabmalen begleitet. Gemeinsam mit den Hinterbliebenen übersetzt er Lebensgeschichten in Stein und leistet so Trauerarbeit.
“Für die Gestaltung eines Grabmals kann es wichtig sein, wie derjenige über Transzendenz dachte. Ob für ihn das Leben durch den Tod vorbei ist, oder ob es etwas gibt, das durch den Tod nicht zerstört werden kann”, sagt Steinmetz Michael Spengler, blauweiß-gestreiftes Leinenhemd, ausgeblichene Schiebermütze und kleiner Ring im linken Ohr, ziemlich am Anfang des Films. Die Szene zeigt ihn während des ersten Gesprächs mit Hinterbliebenen, im Zirkuswagen auf seinem Werkplatz. Im Laufe dessen geht es auch um weitere Facetten – etwa, welche Entstehungsgeschichte verschiedene Steine haben und wofür das stehen kann.
Spengler sagt, er sei Übersetzer – der Film “Der Stein zum Leben” zeigt diese Übersetzungsarbeit: Wie er für drei Grabmale gemeinsam mit den Trauernden Lebensgeschichten bespricht, die Essenzen auswählt und schließlich in Stein bringt. Zum Beispiel mit Familie Neustadt: Die Eltern Anne und Uli mit Tochter Klara, die ihren zweijährigen Sohn verloren haben. Gemeinsam mit Steinmetz Spengler nähern sie sich einem Grabmal an, das ihren Gefühlen Ausdruck verleiht. Diesem Prozess gibt Spengler viel Zeit – die Dokumentarfilmerin zeigt das in langen, langsamen Einstellungen und vielen Momenten, in denen die Protagonisten erstmal innehalten und nachdenken.
Familie Neustadt entscheidet sich schließlich dafür, dass das Grabmal den rauschenden Atem des Sohnes in einem fragilen Kalkstein widerspiegeln soll. Auch in der Produktionsphase bindet der Steinmetz die Familie ein: Sie überlegen, wie tief der Trichter sein soll, um den Atem abzubilden. Wie viele Werkzeugspuren bleiben sollen, um spürbar zu machen, dass dieses Atmen sehr anstrengend war. Und wie die Symbole für das Geburts- und Sterbedatum aussehen können, die schließlich die Tochter gestaltet. Gemeinsam stellen sie das Grabmal zum Schluss auf.
Die Idee hinter dem Film
Auf die Idee für den Film, der noch zwei weitere Grabmale und ihre Entstehung begleitet, kommt Zeuner durch den Tod ihrer eigenen Mutter. Deren Tod platzt plötzlich in ihr Leben. Zeuner entwirft gemeinsam mit Spengler ein Grabmal. Sie hat das Gefühl, dass sie dank seiner Herangehensweise den Abschied selbst gestalten kann. Also fragt sie ihn, ob sie einen Film über ihn und seine “Denkwerke” drehen kann. Auf die Frage, wie es ihr gelungen ist, die Szenen so nah einzufangen, sagt sie: “Wir waren immer nur zu zweit am Set, um die Situation so wenig wie möglich zu stören. Wir haben in die Zusammenkünfte mit den Angehörigen nicht eingegriffen. Es waren fragile Situationen, und es war eben wichtig, nicht aufdringlich zu sein. Die Menschen waren vertieft in ihren Prozess.”
Katinka Zeuner ist ein Dokumentarfilm gelungen, der von der Entstehung eines Grabmals als tröstlichem Trauerprozess erzählt. Aber auch, und damit tut sie der Steinmetzzunft einen großen Dienst, in wunderschönen Nahaufnahmen vom Handwerk an sich erzählt. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil Spengler ein starker Charakter ist, mit einem ungewöhnlichen Werkstattplatz und viel Detailliebe, Handwerkskunst und Empathie.
Der Film
Der Stein zum Leben
Dokumentarfilm, 2018
79 Minuten
Kinostart bundesweit: 23. Mai 2019
www.dersteinzumleben-film.de
Trailer: https://vimeo.com/287034503
Der Steinmetz
Michael Spengler
Steinmetz, Bildhauer und Restaurator
www.denkwerk-berlin.de/
Diese Kino-Kritik für die Steinbranche ist ein Vorgeschmack auf die aktuelle Berichterstattung im Panorama der Juni-Ausgabe von STEIN.