200 Jahre Thust – Vom Handwerksbetrieb zur Industrie
Vor zwei Jahrhunderten im niederschlesischen Gnadenfrei begann die wechselvolle Geschichte von Thust, dem Spezialisten für Marmorberbeitung und Grabmalgestaltung. Anlässlich des 200-jährigen Firmenjubiläums lud Wolfgang Thust, Inhaber des Familienbetriebs in fünfter Generation zur Spurensuche im schlesischen Gründungsgebiet.
In den letzten 200 Jahren hat sich die Firma Thust als familiengeführtes und traditionsreiches steinverabeitendes Unternehmen einen Namen gemacht. Bis heute sind sie eine feste Größe des Markts und Ansprechpartner für gut gestaltete Grabmale in sämtlichen bewährten Marmorsorten oder interessanten Kalksteinen. Diese Expertise in der Steinbearbeitung und Grabmalgestaltung ist historisch gewachsen: Schon immer verstand sich der Betrieb als Partner des steinverarbeitenden Handwerks und legt bis heute großen Wert auf Aus- und Weiterbildung von qualifiziertem Nachwuchs.
Das besondere Jubiläum des Familienunternehmens wollte man bei Thust feierlich begehen. Dafür ließ sich Wolfgang Thust, Inhaber in fünfter Generation, etwas Besonderes einfallen: Vom 16. bis 19. März konnten geladene Gäste unter der Leitung des Chefs persönlich an verschiedenen Reisestationen in Breslau und Umgebung die bewegte Geschichte der Firma und der eng damit verknüpften Geschichte von bereits sechs Generationen der Unternehmerfamilie erleben.
Herzstück und Höhepunkt der Reise war der Besuch im niederschlesischen Gnadenfrei/ Piława Górna. Dort nahm die Geschichte der Thusts 1819 ihren Anfang – gegründet vom 15-jährigen Carl Christian Thust. Nach Abschluss seiner Lehrzeit machte sich der junge, in den Wirren der Napoleonischen Kriege geborene Steinmetz und Gründervater der Thust Stein GmbH mit einem Steinmetzbetrieb selbstständig und belieferte schon bald seine einstigen Kollegen mit eigenen Rohlingen, nach kurzer Zeit bereits aus dem eigenen Marmor-Steinbruch. Investitionen in den technischen Ausbau der Firma – bereits 1863 hatte das Unternehmen in eine Dampfmaschine investiert, welche die Steinsägen und -schleifmaschinen antrieb – machten sich bezahlt und das Unternehmen beschäftigte im Jahr 1870 bereits über 100 Mitarbeiter.
Neben der Gestaltung und Fertigung von Grabsteinen entwickelte die Firma Thust mit einem Produktportfolio zur Innenraumausstattung mit Naturstein ein zweites wichtiges Standbein. Das für die Fertigung der Waschtische, Türrahmen oder Treppen benötigte Natursteinmaterial kam zunächst wegen des damals besonders beliebten Carrara-Marmors aus Italien, als sich die ästhetischen Ansprüche änderten, auch aus den eigenen Abbaugebieten in Schlesien, Tschechien und dem Sudetenland. Geliefert wurden die Natursteinprodukte inzwischen bis in die Hauptstadt Breslau, wo das Unternehmen ein einträgliches Geschäft eröffnete. Doch auch die Trauerkultur selbst war, dank der gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen der Gründerzeit, ein einträgliches Geschäft: Repräsentative und hochwertig gestaltete Grabmale aus Naturstein waren nicht mehr nur Adeligen vorbehalten, auch die Mittelschicht verlangte inzwischen nach einer ansehnlichen letzten Ruhestätte aus Naturstein. Thust belieferte zudem das preußische Königshaus und erhielt 1866 die Urkunde zum „königlichen preußischen Hoflieferanten“.
70-jährig übergab Gründer Carl Christian Thust die Firma mit den Marmorbrüchen in Groß Kunzendorf, dem Breslauer Grabmalgeschäft sowie dem ursprünglichen Betrieb in Gnadenfrei an seine drei Söhne. Der Handwerksbetrieb war zum Unternehmen herangewachsen und entwickelte sich zu einem der größten Grabmalproduzenten Deutschlands. Mit der Anschaffung der ersten Diamantsäge im deutschen Raum wurde nach dem Ersten Weltkrieg technisch modernisiert, sowie weitere Steinbrüche erworben. 1927 kaufte Thust zudem das Steinwerk Balduinstein, das für den Fortbestand des familiengeführten Traditionsunternehmens nach dem Zweiten Weltkrieg eine große Rolle spielen sollte.
Gehörte Thust Stein vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs – trotz kurzfristiger Herausforderungen in den wirtschaftlich schwierigen 20er Jahren – noch zu den zehn größten steinverarbeitenden Betrieben in Deutschland, so war die Lage nach dem Krieg eine andere: Das Werk in Balduinstein, Rheinland-Pfalz wurde als einzig verbliebenem Besitz von Familie Thust nach Ende des Krieges wieder aufgenommen, doch der Neubeginn unter französischer Besatzung gestaltete sich schwierig: Ohne Zugang zu den ehemaligen Brüchen im Osten Deutschlands und mit nur wenigen Mitarbeitern, die aus Schlesien gefolgt waren, fiel es schwer, sich gegenüber der westdeutschen Konkurrenz zu behaupten.
Im Vorfeld der Währungsreform gelang es, mit dem Verkauf von hochwertigen Grabmalen aus einem im Schweizer Tessin entdeckten Materials, der dem schlesischen Marmorähnlich ist, voranzukommen. 1957 konnte die Thust Stein GmbH schließlich technisch modernisieren und sich wieder auf dem Markt behaupten. Neben den Brüdern Dr. Werner und Wolfram Thust in der vierten Generation, war ab 1962 auch Wolfgang Thust als Vertreter der fünften Generation im Unternehmen tätig. Nach der Wende in Deutschland eröffnete das Unternehmen in den neuen Bundesländern einen neuen eigenständigen Betriebsteil in Merseburg in Sachsen-Anhalt, das mittlerweile mit dem Werk Balduinstein zur Thust Stein GmbH zusammengefasst wurde.
200 Jahre Thust, deutsche Geschichte und schlesischer Marmor
Mit der neuesten Gründung des Unternehmens, der Thust Manufaktur ist das Unternehmen zu seinen Anfängen zurückgekehrt. „Mit der von mir selbst im Jahre 2012 in meiner Geburtsstadt Breslau, dem heute polnischen Wroclaw, gegründeten Firma Thust Manufaktur bin ich wieder zu den Wurzeln der Firma Thust zurückgekehrt, wo sie vor nunmehr zweihundert Jahren ihren Anfang nahm“, freute sich der heutige Senior in seiner Rede zum Auftakt der Schlesienreise im Historischen Rathaus von Breslau anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten. Wolfgang Thust schloss mit den Worten: „Voll Dankbarkeit blicke ich auf die erfüllte Zeit meiner langen Tätigkeit in der traditionsreichen Firma Thust in der fünften Generation zurück. Möge die Firma Thust auch nach mir noch lange weiter leben in dem Geist, der sie geprägt und durch alle Schwierigkeiten hindurch getragen hat.“
Neben weiteren Stationen auf den Spuren Thusts in der Region wie dem Besuch des Marmorgebiets in Groß Kunzendorf, der ehemaligen Steinfachschule und dem Besuch der neuen Manufaktur Thust war ein besonderer Moment der Jubiläumsreise der Besuch des Gründungsorts Gnadenfrei/ Piława Górna. Nach der Begrüßung durch den dortigen Bürgermeister Krzysztof Chudyk wurde bei der Besichtigung des alten Firmengeländes die Geschichte der Region, die eng verbunden mit der Geschichte der Familie Thust und dem steinverarbeitenden Betrieb ist, verewigt: Enthüllt wurde eine Gedanktafel am Wohnhaus des Firmengründers zu Ehren von Gründer Carl Christian Thust, dem Begründer der Steinindustrie im ehemaligen Gnadenfrei – natürlich verewigt in Schlesischem Marmor.